„Mise en pause“: Frankreichs Regierungskrise vorerst abgewendet

Taktischer Schritt: Premier Lecornu bietet vorübergehenden Stopp der Rentenreform, um Misstrauensanträge abzuwehren. Kurzfristig sind die fiskalischen Auswirkungen der Reformpause begrenzt. Langfristig könnte der Arbeitsmarkt und die fiskalische Konsolidierung leiden. Das Regierungsbündnis bleibt fragil: Die Rentenpause entschärft den akuten Konflikt, verschiebt aber grundlegende Strukturfragen.

 

Das Bild stellt zwei miteinander verbundene Grafiken dar, die verschiedene wirtschaftliche Aspekte der Eurozone und speziell Frankreichs im Jahr 2023 analysieren:

1. **EWU-Vergleich: Renteneintrittsalter**:
   - **Links**: Balkendiagramm, das das Renteneintrittsalter in Jahren in ausgewählten Euro-Ländern zeigt.
   - **Detail**: Die Durchschnittswerte der Renteneintrittsalter in Ländern wie den Niederlanden, Italien und Finnland werden verglichen. Frankreich liegt mit einem relativ niedrigen Durchschnitt von 60,4 Jahren im Vergleich zu anderen Ländern (siehe Tabelle mit Altersangaben neben den Länderbezeichnungen).

2. **FR: Hohe Verschuldungs- und Defizitquoten**:
   - **Rechts**: Ein kombiniertes Balken- und Liniendiagramm zeigt die Verschuldungsquote und das Defizit Frankreichs als Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
   - **Detail**: Die Balken repräsentieren die Verschuldungsquote, während die Linie das Defizit über mehrere Jahre hinweg veranschaulicht. Die Grafik zeigt steigende Verschuldungs- und schwankende Defizitquoten im gegebenen Zeitraum.

Die Darstellung erbringt einen umfassenden Überblick über derzeitige soziale und wirtschaftliche Herausforderungen und Entwicklungen in der Eurozone, mit einem besonderen Fokus auf die niedrigen Renteneintrittsalter und die finanzielle Lage in Frankreich.

 

Premierminister Sébastien Lecornu hat angekündigt die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 62 auf 64 Jahre vorerst zu stoppen – ein Schritt, der weniger ökonomisch als politisch motiviert ist. Die Entscheidung soll Misstrauensanträge der radikalen Linken (LFI) und des Rassemblement National (RN) neutralisieren und zugleich die Sozialisten (PS) davon abhalten, sich einer Absetzungskoalition anzuschließen. Dieses Kalkül scheint aufzugehen: Die PS hat signalisiert, die Regierung nicht zu stürzen. Damit erkauft sich Lecornu Zeit – Zeit, um die fragile Balance in der Nationalversammlung zu wahren und den Haushaltsentwurf 2026 durch das Parlament zu bringen, ohne auf den umstrittenen Verfassungsartikel 49.3 zurückgreifen zu müssen.

 

Ökonomisch betrachtet ist das Aussetzen der Rentenreform kurzfristig verkraftbar. Laut Pariser Finanzministerium entstehen 2026 rund 0,4 Mrd. € und 2027 etwa 1,8 Mrd. € an Zusatzkosten oder Mindereinnahmen – verschwindend gering im Vergleich zu den über 30 Mrd. € an geplanten Konsolidierungsmaßnahmen. Politisch jedoch ist die Entscheidung ein starkes Signal an die linke Mitte und Ausdruck eines prekären Gleichgewichts zwischen Stabilitätssuche und Reformverzicht. Die ökonomische Bedeutung der Rentenfrage reicht weit über die zwei betroffenen Haushaltsjahre hinaus: Ohne eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer drohen das Arbeitskräfteangebot, die Produktivität und die Steuerbasis langfristig zu schwächeln.

 

Frankreich will sein Defizit von 5,8% des BIP (2025) auf 4,7–5,0% (2026) senken. Doch der unabhängige Fiskalrat (HCFP) bezweifelt die Annahmen: Das Wachstum sei zu optimistisch, Einsparungen ungesichert, die politische Durchsetzbarkeit fraglich. Gerade der Etat 2026 wird so zum Lackmustest, ob Lecornus Stabilitätsstrategie trägt. Das Regierungsbündnis hat an kurzfristiger Ruhe gewonnen, bleibt aber strukturell fragil. Sollte der Haushalt scheitern, droht ein neuer Krisensprung – mit möglichen Neuwahlen, steigenden Risikoaufschlägen und wachsender Nervosität an den Finanzmärkten. Die „mise en pause“ der Rentenreform ist damit mehr als eine Atempause: Sie ist eine Wette auf Zeit.

 

-- Matthias Schupeta