Türkei: Robustes Wachstum in Q2, aber verhaltener Ausblick

Das Bruttoinlandsprodukt überschritt im zweiten Quartal das Niveau des Vorjahresquartals um 3,8%. In Anbetracht der tiefen Inflationskrise und der Unsicherheit im Umfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ist das eine recht robuste Entwicklung.
 


Nach jüngst veröffentlichten Zahlen steht für Q2 gegenüber Vorjahresquartal ein Wirtschaftswachstum von 3,8% zu Buche. Wichtige Impulse lieferte ein sehr kräftiger privater Konsum, der allerdings auch die Importe in die Höhe trieb. Der unmittelbar nach der Wiederwahl von Präsident Erdogan angekündigte Kurswechsel bei der Geld- und Wirtschaftspolitik wurde im Juni mit ersten Maßnahmen in Angriff genommen. So hat die Notenbank die Leitzinsen deutlich erhöht. Dadurch konnte der Abwärtstrend der türkischen Lira zumindest vorübergehend unterbrochen werden.

 

Außerdem wurden zum 1. Juli kurzfristig Verbrauchssteuern erhöht, damit sich die Lücke im Staatshaushalt nicht weiter ausweitet. Seit Mitte 2022 sind die Staatsausgaben deutlich gestiegen: Im zweiten Quartal 2023 waren die Ausgaben dadurch mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahresquartal. Ein Grund für den Ausgabenanstieg sind die kräftigen Lohnerhöhungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die den Kaufkraftverlust mildern sollten. Im Budget entstand eine deutliche Lücke, da in diesem Zeitraum der Anstieg bei den Einnahmen deutlich schwächer ausfiel. Dafür sorgten unter anderem umfangreiche Umsatzsteuersenkungen auf Lebensmittel.

 

Derweil ist die Inflation wieder auf dem Vormarsch und das Konsumklima hat sich deutlich eingetrübt. Die jüngsten Inflationsprojektionen der Notenbank gehen davon aus, dass die Inflation bis zum Frühjahr 2024 auf rund 60% steigt und sich erst danach allmählich entspannt. 2023 ist deshalb im Jahresdurchschnitt mit einer Rate von rund 51% zu rechnen. Für Auftrieb sorgen nicht nur die jüngst in Kraft getretenen Steuererhöhungen, sondern auch Nahrungsmittelpreise, Wohnungsmieten und andere Dienstleistungen. Das Inflationsgespenst wird sich deshalb auch 2024 nur sehr zögerlich zurückziehen. Im Jahresdurchschnitt dürften die Verbraucherpreise auch dann um stattliche 48% über dem Vorjahresniveau liegen.

 

Im September will der Finanzminister ein umfangreiches, mittelfristig ausgerichtetes Wirtschaftsprogramm vorstellen, um die Unsicherheit bei den Investoren abzubauen. Gleichzeitig sollen dreijährige Makroprognosen veröffentlicht werden. Es sieht ganz danach aus, als wenn tatsächlich die Zeit der Adhoc-Wirtschaftspolitik zu Ende geht. Die Konjunktur dürfte sich dennoch im Umfeld einer restriktiven Geld- und Fiskalpolitik vorerst verlangsamen. Dank des kräftigen ersten Halbjahres rechnen wir für 2023 mit einem Wirtschaftswachstum von rund 2,5%. Im kommenden Jahr dürfte das Wachstum allerdings dahinter zurückbleiben.

 

-- Dr. Christine Schäfer