Höhere Kurse bei sinkenden Erträgen - das können nur Aktien

Investoren preisen langfristig mehr Wachstum und Inflation ein, so können Aktienkurse trotz negativer Gewinnrevisionen steigen. Wir sehen weder eine Überbewertung noch Crash-Gefahr.
 

Wir hatten bereits Ende November auf das begrenzte Potenzial der damals bereits laufenden Aktienrally hingewiesen. Wir hoben dabei die mit dem Kursanstieg schwindende Attraktivität von Aktien gegenüber Anleihen hervor. Diese Attraktivität quantifizierten wir in Form einer Aktienrisikoprämie (ERP), der Differenz zwischen erwarteten Unternehmensgewinnen abzüglich zehnjähriger Staatsanleiherenditen. Diese Risikoprämie ist sowohl für den DAX als auch für den S&P 500 auf ein Mehrjahrestief gesunken, für den S&P 500 liegt sie auf dem Niveau von 2010. Solch niedrige Risikoprämien suggerieren rein rechnerisch eine sehr hohe – wenn nicht sogar übermäßige – Aktienbewertung, sowohl gegenüber (a) den Konsens-Gewinnerwartungen als auch (b) dem Niveau der zehnjährigen Staatsanleiherenditen. Einige Analysten sehen darin sogar eine anstehende Crash-Gefahr, (US-) Aktien befänden sich gar in einer „Todeszone“. Wir teilen diese Crash-Prophezeiung nicht. Aktien sehen wir weder auf Basis erhöhter KGVs zu teuer an noch stufen wir die Höhe der Aktienrisikoprämien als kritisch ein. Aktien sollten jetzt auf keiner Seite des Atlantiks verkauft werden.

 

Die Entwicklung beider Kennzahlen unterschlägt das Einpreisen einer höheren langfristigen Wachstumsrate in die Aktienkurse, sprich der Anpassung an aufgehellte langfristige Konjunkturerwartungen und an ein Umfeld mit höherer Inflation. Eine einfache – wie in den Medien vorgestellte - Berechnung der ERP ignoriert jedoch diese Anpassung der langfristigen Gewinne. Hierdurch wird die ERP um den entsprechenden Satz zu niedrig angezeigt. Sie läge eigentlich auf dem Niveau von Ende 2020/Anfang 2021, als Aktien noch mehr Attraktivität hatten und weit entfernt von der in den Medien beschriebenen „Todeszone“ lagen. Ebenso lässt sich die KGV-Ausweitung beider Märkte seit Jahresbeginn nahezu vollständig auf die Änderungen von Zinsniveau und langfristiger Gewinnwachstumsrate zurückführen.

 

Abgesehen davon verläuft die Berichtssaison zum vierten Quartal 2022 so gut, dass der Konsens mittlerweile von einer DAX-Gewinnrezession im Jahr 2023 ausgeht. Die guten DAX-Ergebnisse aus 2022 überholen mittlerweile die Erwartungen für das aktuelle Jahr 2023. Deshalb erwartet der Konsens aktuell sogar ein negatives Gewinnwachstum für den DAX von minus 0,8% im Jahr 2023. Auch dies führt irrtümlicherweise zu einem negativen Ausblick für die DAX-Entwicklung, obwohl es sich hier um einen rein mathematischen Effekt in Kombination mit einer sehr positiven Ausgangssituation aus 2022 handelt. Die hohe Vergleichsbasis aus 2022 wird aufgrund der makroökonomischen Gemengelage dennoch schwer zu übertrumpfen sein, wenn auch die Aktienkurse das Gegenteil suggerieren. Wir bleiben daher weiterhin verhalten optimistisch für Aktien.

 

-- Sven Streibel


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