Brasilien wählt: Kommt es zum Richtungswechsel?

Wirtschaftlich dümpelt das Schwellenland dahin. Das Ergebnis der anstehenden Präsidentschaftswahl könnte für die Wirtschaftspolitik zu einer Weichenstellung werden. Ein Sieg des Herausforderers dürfte aber vor allem für die Klimapolitik eine Kehrtwende bedeuten.

 

 

Am 2. Oktober beginnt in der größten südamerikanischen Volkswirtschaft die Wahl des nächsten Präsidenten und auch die Parlamentssitze werden neu vergeben. Dabei strebt der amtierende Rechtspopulist Jair Bolsonaro eine Wiederwahl an. Allerdings konnte sein Herausforderer Lula da Silva laut jüngsten Umfragen seinen Vorsprung zuletzt noch weiter ausbauen. Lula ist Gründungsmitglied der brasilianischen Arbeiterpartei und will sich im Alter von 76 Jahren einer dritten Amtszeit als Staatspräsident stellen. Er regierte bereits von 2003 bis 2010. Der Polit-Profi hat nicht nur ein breites Parteienbündnis hinter sich versammelt. Sein Vizekandidat heißt Geraldo Alckmin und ist ein früherer eher konservativer Widersacher. Dieser Schachzug dürfte ihm zahlreiche Stimmen aus der Mitte einbringen.

 

Als weiterer Pluspunkt könnte sich für Lula erweisen, dass sich in diesem Jahr sehr viele Jungwähler in das Wählerverzeichnis haben eintragen lassen. In Brasilien ist bereits ab 16 Jahren freiwillig die Stimmabgabe bei einer Präsidentschafts- oder Parlamentswahl möglich. In der Vergangenheit war diese Altersgruppe den Wahlurnen weitestgehend ferngeblieben. Für die 18- bis 70jährigen Brasilianer und Brasilianerinnen, immerhin rund 156 Millionen, gilt hingegen „Wahlpflicht“.

 

Dem Amtsinhaber Bolsonaro könnte in die Hände spielen, dass das robuste Wachstum der Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte positive Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen hat. Die Arbeitslosenquote liegt „nur noch“ bei rund 9%, nach noch knapp 14% vor einem Jahr. Gleichzeitig hat die Zahl der Beschäftigten ein neues Rekordhoch erreicht. Wohl vor allem deshalb hat sich zuletzt die Stimmung bei den Verbrauchern aufgehellt, im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit zeigt sich aber immer noch ein eher verhaltenes Bild. Dies dürfte an der sichtbar erhöhten Inflation liegen, die im zweiten Jahr in Folge die Realeinkommen schrumpfen lässt. Zudem hat die Notenbank den Leitzins seit dem Frühjahr 2021 deutlich auf inzwischen 13,75% angehoben.

 

Es wird wohl erst Ende Oktober nach einer Stichwahl klar sein, wie der nächste Präsident heißt. Sollte tatsächlich der Herausforderer Lula das Siegerpodest erreichen, lässt sich derzeit kaum ein klarer Kurs bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik abschätzen. Eine Kehrtwende bei der Klimapolitik ist jedoch nahezu sicher. Dies dürfte auch im Ausland für Erleichterung sorgen. Unter Bolsonaro hatte die Abholzung des Regenwaldes deutlich Fahrt aufgenommen. Strukturelle Reformen werden in Brasilien wohl weiterhin schwierig bleiben und parteiübergreifende Kompromisse die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben.

 

-- Dr. Christine Schäfer


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