EZB zieht Zinsschraube behutsam weiter an

Die Notenbank-Oberen haben eine weitere Zinsanhebung beschlossen. Allerdings wurde das Zinserhöhungstempo auf 25 Bp gedrosselt.
 

Angesichts des hartnäckigen grundlegenden Inflationsdrucks haben die europäischen Währungshüter auf ihrer heutigen Sitzung beschlossen, die Zinszügel weiter zu straffen. Allerdings haben die Notenbank-Oberen das Zinserhöhungstempo auf 25 Basispunkte gedrosselt. Der Einlagesatz liegt nunmehr bei 3,25%. Über den weiteren geldpolitischen Kurs wollen die EZB-Vertreter in Abhängigkeit der Datenlage entscheiden. Wir gehen davon aus, dass die Leitzinsen im Zuge der nächsten beiden Zusammenkünfte (15. Juni / 27. Juli) um jeweils 25 Basispunkte angehoben werden. Im Hinblick auf die Anleihekäufe haben die Währungshüter beschlossen das „Quantitative Tightening“ zu forcieren. So wird die Liquidität aus fälligen Wertpapieren im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP) ab Juli 2023 nicht mehr reinvestiert. Unter Berücksichtigung der Anleihefälligkeiten in der zweiten Jahreshälfte dürfte sich der APP-Bestand im Durchschnitt damit um 24 Mrd. Euro pro Monat verringern. In einer ersten Reaktion haben die Marktakteure ihre Zinserhöhungsfantasie rätselhafterweise etwas nach unten revidiert, obwohl Lagarde mehrfach betont hat, dass noch weitere Leitzinserhöhungen geboten sind („More ground to cover“).

 

Notenbankchefin Lagarde ließ in ihren Ausführungen keine Zweifel daran, dass die Inflation in der Eurozone nach wie vor unerwünscht hoch ist. Zwar hat die Gesamtinflationsrate zuletzt niedriger tendiert, doch bereitet den Währungshütern der hartnäckige grundlegende Inflationsdruck (Kernrate) Kopfzerbrechen. In diesem Zusammenhang haben die Notenbank-Oberen unter anderem ein besonderes Augenmerk auf die Lohnentwicklung. Höhere Lohnabschlüsse dürften einem raschen Rückgang der Kernrate entgegenstehen. Als einen weiteren Risikofaktor für die Teuerungsentwicklung betrachtet Lagarde das Kriegsgeschehen in der Ukraine. So könnten die Nahrungsmittelpreise in Folge des anhaltenden Ukraine-Kriegs nochmals ansteigen. Insgesamt sieht die EZB nach wie vor beträchtliche Aufwärtsrisiken für die Inflation. Vor diesem Hintergrund fühlen wir uns in unserer Einschätzung bestärkt, wonach der Kampf gegen die Inflation noch nicht gewonnen und damit weitere Leitzinsanhebungen geboten sind. Entscheidend für den weiteren geldpolitischen Kurs werden unter anderem die nächsten EZB-Projektionen sein, welche im Rahmen der Juni-Ratssitzung turnusgemäß überarbeitet werden. Die Konjunktur in der Eurozone erweist sich nach Einschätzung von Lagarde als widerstandsfähig. Hierzu beigetragen haben dabei die wieder niedrigeren Energiepreise, aber auch die nachlassende Lieferkettenproblematik. Wieder aufkeimende Turbulenzen im Bankensektor wären ein Abwärtsrisiko für die Konjunktur in der Eurozone.

 

Im Zuge der Frage- und Antwortrunde wurde Lagarde gefragt, wo ihrer Ansicht nach ein „ausreichend restriktives Leitzinsniveau“ liegen könnte. Erwartungsgemäß blieb die Notenbankchefin eine konkrete Antwort schuldig. Sie führte weiter aus, dass „… man es wissen werde, wenn man ein ausreichend restriktives Niveau erreicht habe“. Lagarde ließ allerdings keine Zweifel daran, dass das gegenwärtige Leitzinsniveau noch nicht restriktiv sei. Am Markt gibt es vereinzelt Stimmen, die davon ausgehen, dass die EZB die Leitzinsen nicht weiter anheben kann, weil die US-Notenbank inzwischen den Hochpunkt ihres Zinserhöhungszyklus erreicht hat. Notenbankchefin Lagarde hat in diesem Zusammenhang klar hervorgehoben, dass die EZB unabhängig agiert und einzig der Erreichung ihres Inflationsziels verpflichtet sei.

 

-- Christian Reicherter


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