EZB: Leitzinswende rückt näher – März-Projektionen im Fokus

Die europäischen Währungshüter haben bei ihrer heutigen Zusammenkunft erwartungsgemäß keine Anpassungen am geldpolitischen Kurs vorgenommen. Sehr spannend war allerdings die heutige Pressekonferenz. Im Zuge derer hat sich Frau Lagarde ungewohnt „hawkish“ geäußert. Kopfzerbrechen bereitet den Währungshütern die unerwartet hohe Inflation. Zudem sei der Ausblick für die Teuerung nach wie vor mit Aufwärtsrisiken behaftet. Die Notenbank werde daher die Datenlage genau im Blick behalten. Grundsätzlich sei die EZB bereit, alle geldpolitischen Instrumente flexibel anzupassen. Daraufhin haben sich die marktseitigen Zinserhöhungsfantasien weiter belebt. Bis zum Jahresende eskomptieren die ESTR-Forwards nunmehr Leitzinsanhebungen (Einlagesatz) im Umfang von annähernd 40 Basispunkten.


Eine Anhebung der Leitzinsen im laufenden Jahr war bis vor kurzem für EZB-Chefin Lagarde kein Thema. Nach dieser Ratssitzung ist ein erster Zinsschritt noch in diesem Jahr allerdings sehr viel wahrscheinlicher geworden. Die Währungshüter zeigen sich angesichts des jüngsten Teuerungsschubs (+5,1% J/J) einhellig besorgt. Allerdings wollte man angesichts der Unsicherheit über die zukünftige Inflationsentwicklung keine überhastete Entscheidung treffen. Damit kommt den nächsten EZB-Projektionen besondere Bedeutung zu. Turnusgemäß steht eine Überarbeitung der Inflations- und Wachstumsprojektionen im März auf der Agenda. Hier muss sich zeigen, inwieweit die bisherige Erwartung für einen wieder nachlassenden Inflationsdruck noch Bestand hat. Vor dem Hintergrund der Forward Guidance für den Leitzins ist es vor allem von Wichtigkeit, ob die Währungshüter weiterhin davon ausgehen, dass die Teuerungsrate mittelfristig wieder unter die 2%-Marke fällt. Für den Zeithorizont 2023/24 deuten die Inflationsprojektionen bislang auf eine Inflationsrate von 1,8% hin.


Doch bevor die Notenbank erstmals an der Zinsschraube dreht, müssen die Anleihekäufe beendet werden. Lagarde hatte im Zuge der Pressekonferenz mehrfach hervorgehoben, dass man am „Sequencing“ festhalten wolle. Vor diesem Hintergrund scheint die Markterwartung einer ersten Straffung der Zinszügel im Juli übereilt. Dies würde schließlich bedeuten, dass die EZB bereits im Frühjahr ihre Anleihekäufe auf Null herunterfahren müsste, also wesentlich früher als derzeit erwartet. Angesichts des Inflationsdilemmas in dem sich die EZB derzeit befindet, wäre es u.E. nach eine bessere Option gewesen, sich vom strikten Sequencing zu verabschieden – dies hätte der EZB den notwendigen Spielraum gegeben, die Leitzinsen früher anzuheben, ohne ein abruptes Ende der Anleihekäufe vollziehen zu müssen. Dies ist jedoch offenbar aus Sicht der EZB keine realistische Möglichkeit und somit wird sie sich in den kommenden Monaten entscheiden müssen was aus ihrer Sicht schwerer wiegt: Inflationssorgen oder die Angst vor erneuten Marktverwerfungen.

 

-- Christian Reicherter


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