Die Sorge vor dem kalten Entzug
Monatelang verweilten die Spreads der EWU-Staatsanleihen im Dornröschenschlaf. Seit Ende letzter Woche hat sich das nunmehr schlagartig geändert. EZB-Präsidentin Lagarde hat im Rahmen der Pressekonferenz im Anschluss an die Zinsentscheidung am vergangenen Donnerstag ein Ende des Anleihekaufprogramms PEPP für Ende März 2022 in Aussicht gestellt. Im Grunde ist die Ankündigung wenig überraschend, da sich die europäischen Volkswirtschaften im Aufschwung befinden und den Pandemiemodus im kommenden Jahr hinter sich lassen könnten. Allerdings hat Lagarde wenig Worte darüber verloren, wie es mit der Geldpolitik nach März 2022 konkret weitergeht, da dies voraussichtlich erst auf der Dezember-Sitzung der EZB entschieden wird.
Da mehr als 90% der unter PEPP getätigten Anleihekäufe auf EWU-Staatsanleihen entfallen, hat die Unsicherheit über den zukünftigen EZB-Kurs insbesondere bei italienischen Staatsanleihen eine heftige Marktreaktion ausgelöst. Verstärkt wurde die Marktunsicherheit auch durch Spekulationen, die EZB könne bis Ende 2022 den Einlagesatz anheben, was bereits in den Euro-Geldmarktkursen abgebildet wird.
Angesichts der starken Marktreaktion bei EWU-Staatsanleihen scheint sich das zu bestätigen, was nicht wenige Marktbeobachter seit Jahren mantraartig wiederholen: Die Peripherie-Risikoaufschläge sind primär eine Funktion der EZB-Geldpolitik und das aktuelle Spreadniveau spiegelt angesichts hoher Schuldenstände nur ein künstliches und damit hochgradig verzerrtes Marktgleichgewicht wider. Nimmt also die Sorge darüber zu, ob die EZB die Dosis des süßen Gifts namens Anleihekäufe reduzieren könnte, steigt schlagartig die Unsicherheit im Markt und damit auch die Risikoprämien.
Gegen einen abrupten EZB-Kurswechsel spricht allerdings, dass ein kalter Entzug vom süßen Gift womöglich unabsehbare Folgen für die Märkte und damit auch die Refinanzierungsfähigkeit der Staaten, aber auch die wirtschaftliche Erholung nach Corona hätte. Eine zentrale Aufgabe der Währungshüter wird in den kommenden Wochen somit darin bestehen, eine Balance zwischen notweniger geldpolitischer Anpassung und der Anpassungsfähigkeit des Marktes zu finden. Aus dem Grund ist auch nicht mit einem weiteren Überschießen der Risikoprämien zu rechnen. Die EZB dürfte sowohl verbal als auch mittels höherer Anleihekäufe gegensteuern, um das künstlich geschaffene, verzerrte Gleichgewicht einstweilen aufrechtzuerhalten.
Daniel Lenz