„Greenium“ am Aktienmarkt? Eher nein…
Nachhaltigeres Wirtschaften gemäß ESG-Standards geht nicht per se mit mehr Profitabilität und höheren Aktienkursen einher. Je nach Branche und Blickwinkel ändert sich der Zusammenhang.
Die Nachhaltigkeitsdebatte mit ihren vielen Kontroversen ist auch am Kapitalmarkt in vollem Gange. Der Diskurs zu den Fragen, wann ein Unternehmen als nachhaltig gilt und wie Nachhaltigkeit im Unternehmen gemessen wird, ist fortlaufend. Im Kontext der Finanzmärkte steht meist die ESG-Bewertung im Fokus. Anhand der Kriterien Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) wird versucht zu klassifizieren, ob ein Unternehmen als nachhaltig eingestuft werden kann.
Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedeutung derartiger Kriterien bei der Anlageentscheidung stellt sich die Frage, inwieweit die Aktienkurse der Unternehmen von einer höheren ESG-Bewertung profitieren. Und ob fehlende Nachhaltigkeit zu Underperformance und somit günstigerer Bewertung führt. An den Anleihemärkten läuft dieser Zusammenhang unter dem Begriff „Greenium“. Dieser beschreibt das in den letzten Jahren vorherrschende Muster, wonach „grüne Anleihen“ eine geringere Rendite aufweisen als herkömmliche festverzinsliche Wertpapiere. Offenbar sind die Anleiheinvestoren bereit, einen Aufpreis für ESG-konforme Anleihen zu zahlen.
So etabliert dieser Zusammenhang am Rentenmarkt sein mag, am globalen Aktienmarkt ist er nicht eindeutig zu erkennen. Eine Regressionsanalyse auf Basis des DZ BANK ESG-Scores und des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (kurz KGV) von gut 4.000 Unternehmen aus ausgewählten Industrieländern legt nahe, dass kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der ESG-Einstufung und der KGV-Bewertung von Unternehmen besteht.
Einen weiteren Anhaltspunkt liefert eine Gruppierung der Unternehmen in aufsteigender Reihenfolge nach ihrer ESG-Bewertung in Zehnerblöcken, sogenannte Dezile. So sind in der linken Abbildung die Unternehmen basierend auf ihrer DZ BANK ESG-Bewertung gruppiert und in aufsteigender Reihenfolge sortiert (1=schlechteste, 10= beste ESG-Bewertung) dargestellt. Diese Blöcke stellen das durchschnittliche KGV der Gruppe dar und ermöglichen eine direkte Vergleichbarkeit. Zwar liefert dieser Ansatz über alle Branchen hinweg ebenfalls keinen allgemein gültigen Trend, wonach eine höhere ESG-Bewertung mit höheren Kursen einhergeht. Innerhalb einzelner, nicht aller, Branchen aber durchaus. Beim genauen Blick auf die Öl- und Gasbranche (rechte Abbildung) ergibt sich ein klares Muster: Unternehmen mit einer niedrigen ESG-Bewertung (1) weisen im Durchschnitt ein geringeres KGV auf als Unternehmen mit einer höheren ESG-Bewertung (4). Hier besteht also die Bereitschaft, für nachhaltigere Unternehmen einen Aufschlag zu zahlen. Dies kann als „Greenium am Aktienmarkt“ verstanden werden – zumindest innerhalb der Öl- und Gasbranche.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es am Aktienmarkt zwar keinen allgemeingültigen Zusammenhang gibt, wonach ein besserer ESG-Score zu einer höheren Bewertung von Aktienunternehmen führt. Innerhalb einzelner Branchen aber durchaus. Nicht auszuschließen ist zudem, dass das Thema – ähnlich wie am Anleihemarkt – längerfristig an Bedeutung gewinnt und sich ein „Greenium“ auf breiter Front durchsetzt. Über die Motivation hinter der Bereitschaft, ein „Greenium“ zu zahlen, sagt die Analyse indes nichts aus. Möglicherweise treibt die Erwartung einer aus Nachhaltigkeit resultierenden zukünftig höheren Profitabilität bereits heute die Aktienkurse nach oben. Vielleicht steckt aber auch der (altruistische) Wunsch nach einem grüneren Portfolio dahinter.
-- Lina Hauser