Hohe US-Inflation: Wie weit geht die Fed?

Die US-Notenbank befindet sich zwischen Skylla und Charybdis – also in einer Situation, in der man zwischen zwei Gefahren wählen kann, und aus der man eigentlich nur mit einem Schaden herausgehen kann. 

 

 

Die beiden Gefahren heißen Rezession und Inflation. Messen die Notenbanker der Inflation oberste Priorität bei, müssten die Leitzinsen kräftig angehoben werden. In diesem Fall würden die Währungshüter eine Rezession riskieren. Wird dem konjunkturellen Risiko Vorrang gegeben, könnte der aktuelle Leitzinserhöhungszyklus schnell beendet werden. Hier besteht die Gefahr, dass die Geldpolitik zu expansiv bleibt und die hohen Inflationsraten alimentiert werden. Der momentan zu beobachtende Inflationstrend würde sich verfestigen.

 

Der Finanzmarkt stellt sich darauf ein, dass die Fed einen Mittelweg zwischen Inflation und Rezession gehen wird. So erwarten die Marktteilnehmer zwar kräftige Leitzinserhöhungen in den kommenden Monaten. Im Juli dürfte der Zinskorridor um 75 Basispunkte angehoben werden. Angesichts der Rezessionsängste wird aber nicht von einem merklich restriktiven geldpolitischen Niveau ausgegangen, obwohl die aktuell hohe Inflationsrate von 9,1% ein solches zweifelsohne hergeben würde. Die Taylor-Regel belegt diese Diskrepanz recht eindrucksvoll. Unter Berücksichtigung der Abweichung der Inflation vom Inflationsziel und der Arbeitslosigkeit von der NAIRU (Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment beziehungsweise inflationsneutrale Arbeitslosenquote) zeigt die Taylor-Regel einen berechneten Leitzins von 9,4%. Auf diese Niveaus wird die US-Notenbank die Leitzinsen aber auf keinen Fall anheben.

 

Unseres Erachtens ist ein lediglich moderat restriktives geldpolitisches Niveau angebracht. Wie bei jedem Zinserhöhungszyklus existiert aber die Gefahr, dass die Notenbank zu viel macht und eine schwere Rezession näher rückt. Gerade im aktuellen Umfeld ist der richtige Zeitpunkt für eine Beendigung des Leitzinserhöhungszyklus besonders schwierig abzuschätzen. Denn zum einen ist ein Großteil des Preisdrucks angebotsgetrieben. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Inflation trotz einer konjunkturellen Abschwächung hoch bleibt. Zum anderen könnte die Fed aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung die Situation falsch einschätzen und sich zu übertriebenen Leitzinserhöhungen verleiten lassen, denn der Beschäftigungszuwachs ist bisher relativ robust geblieben. Da die US-Wirtschaft derzeit unter einem akuten Mangel an Fachkräften leidet, könnte der Arbeitsmarkt im aktuellen Umfeld stark verzögert reagieren. Übertragen auf die Fed bedeutet dies, dass die US-Notenbank Gefahr läuft, zu stark auf dem Bremspedal zu stehen und die Wirtschaft in die Rezession zu führen.

 

Da wir davon ausgehen, dass die Fed Anfang des kommenden Jahres die Leitzinsanhebungen bei einem Niveau von rund 3,75% beendet, dürfte es zwar zu einer Rezession kommen, die aber recht mild ausfallen sollte. Obwohl die von uns unterstellte leichte Rezession über die Nachfrageseite den Preisdruck dämpfen wird, bleiben die Inflationsraten in 2023 aus unserer Sicht klar oberhalb der Zielmarke von 2%. Das ist der Preis, den die Fed zahlen muss, um eine kräftige Rezession zu verhindern.

 

-- Birgit Henseler


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