Alter Wein in neuen Schläuchen

Die EU-Kommission arbeitet an Reformvorschlägen für den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. In einem Ende 2021 veröffentlichten gemeinsamen Positionspapier “Revising the European Fiscal Framework” haben die politischen Berater des italienischen Premiers Draghi sowie des französischen Präsidenten Macron bereits ihre Ideen eines Reformkonzepts vorgestellt.

 

Die Kernthesen von Giavazzi et al.: Erstens, ein Teil der Schulden der EU-Staaten, den die EZB hält und der in etwa dem durch die Corona-Pandemie verursachten Umfang der zusätzlichen Gesamtverschuldung entspricht, soll in einem Zeitraum von fünf Jahren an eine EU-Schuldenagentur übertragen werden. Zur Finanzierung leisten die Staaten Zahlungen an die Agentur, die von der jeweiligen Höhe der Verbindlichkeiten und dem Wachstum der Länder abhängen. So sollen die stärker verschuldeten Staaten günstigere Refinanzierungskonditionen erhalten und die EZB in ihren geldpolitischen Entscheidungen freier agieren können (Stichwort fiskalische Dominanz).
Zweitens, die EU-Fiskalregeln sollen realistischer und flexibler gestaltet werden. Die 60%-Verschuldungsgrenze wäre nur noch ein langfristiges Ziel und würde durch ein Zehn-Jahres-Ziel ergänzt werden. Die jährlichen Haushaltsdefizitziele würden sich entsprechend nach den Erfordernissen zum Erreichen der neuen Gesamtschuldenziele richten. In Summe wären die Staaten zu weniger restriktiven Sparmaßnahmen gezwungen, so die Autoren.

 

Mit ihrer Kritik weisen die Autoren auf handfeste Probleme des Paktes hin: die mangelnde Glaubwürdigkeit und Durchsetzbarkeit der bisherigen Regeln sowie die möglichen negativen Folgen für die Unabhängigkeit der EZB-Geldpolitik. Der EU ist aber nicht damit geholfen, dass Probleme gelöst indem neue geschaffen werden. Die Reformvorschläge würden nicht nur die Anreize der Staaten, die Verschuldung auf absehbare Zeit zu senken, reduzieren. Insbesondere in Zeiten steigender Zinsen könnte sich das als Bumerang herausstellen. Auch die Haftungsrisiken für die Staaten, die durch den EU-Wiederaufbaufonds ohnehin deutlich wachsen, würden nochmals zunehmen. Im Kern bietet der Vorschlag eine andere Form von Eurobonds und damit „alten Wein in neuen Schläuchen“. Ein möglicher Kompromiss zwischen den politischen Lagern könnte einen Verzicht auf gemeinsame Schulden zugunsten von mehr Flexibilität enthalten. Entscheidend für den Erfolg einer Reform wäre aber, dass die EU Mechanismen erhält, die vorhandenen Regeln auch durchzusetzen.

 

Daniel Lenz


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