Geldpolitik jenseits von EZB und Fed: Normalisierung ist in vollem Gang

Noch ist 2021 nicht zu Ende, doch schon vor der Zeit der großen Jahresrückblicke ist das übergeordnete Thema des Jahres klar: der globale Ausstieg aus dem geldpolitischen Krisenmodus. Der monetäre Normalisierungszug hat den Bahnhof unbestreitbar verlassen. In einigen Ländern im Tempo eines ICE-Sprinters, in anderen eher im Stil einer langsamen Regionalbahn mit vielen Stopps, aber immer eindeutig Richtung Exit. Es gibt Zentralbanken, v.a. im Bereich der Schwellenmärkte, die auf explizite Leitzinserhöhungen setzen und schon mit voller Wucht auf die geldpolitische Bremse treten. Andere reduzieren (mal mehr, mal weniger heimlich) nur das Tempo ihrer Anleihekäufe, nehmen also bislang lediglich den Fuß vom Gaspedal.

Während sich die Notenbanken in den USA und der Eurozone denkbar vorsichtig an ihre Rückkehr zur geldpolitischen Normalität herantasten, geht es im Schwellenmarktsegment deutlich dynamischer zu. Hier werden unmissverständliche Leitzinserhöhungen von bis zu 150 Bp pro Sitzung aufgerufen. Unangefochtener Spitzenreiter ist Brasilien mit einer Erhöhung um 575 Bp seit Jahresanfang, und auch Russland lässt sich mit 325 Bp nicht lumpen. Relativ neu im Club der Muskelprotze ist die tschechische Notenbank, die jüngst mit ihrer Zinserhöhung um 125 Bp von sich reden gemacht hat. Eher defensiv im Vergleich zu ihrer Peer-Group sind Ungarn und Mexiko unterwegs. Beeindruckend geht es auch in Polen zu, allerdings unter fragwürdigen Umständen. Statt der erhofften Forward Guidance liefert die Notenbank eher „Forward Confusion“, die die bisher erfolgte Zinsanhebung um 115 Bp überlagert. Auch die türkische Geldpolitik gibt Anlass zur Sorge, hier wird in einem sich überschlagenden Inflationsumfeld auf aggressive Lockerungen gesetzt.

In den Industrieländern ist die Leitzinswende ebenfalls eingezogen, wenn auch eher in homöopathischer Dosis. Mit Norwegen hat im September das erste G10-Land seit Ausbruch der Pandemie wieder zur Zinserhöhung gegriffen. Dem besonnenen Einstieg dürfte schon im Dezember ein weiterer 25er-Schritt folgen. Neuseelands RBNZ hat sich im Oktober zur Zinswende entschlossen, nachdem sie im Juli ihr QE-Programm kurzerhand für beendet erklärt hatte. Als heißester Kandidat für die erste Leitzinswende unter den „Großen Vier“ gilt die Bank von England, bei der wir im Februar mit einem Mini-Einstieg in den Ausstieg (+15 Bp) rechnen. Ebenfalls in Richtung Exit-Tür schleicht sich die kanadische Notenbank, die bereits seit rund einem Jahr ihre Anleihekäufe verlangsamt und inzwischen auch offiziell eingestellt hat.

Offenbar ist in vielen Ländern der Ausstieg aus dem geldpolitischen Krisenmodus in vollem Gang. Doch trotz teils aggressiver Leitzinserhöhungen ist das monetäre Umfeld damit noch lange nicht restriktiv-bremsend, wie uns der Blick auf den Realzins offenbart. Ein reales Leitzinsniveau von minus 2,5% im Durchschnitt unserer gecoverten Länder ist historisch einmalig niedrig (Basis: Konsumentenpreise). Unter Berücksichtigung des aktuellen Inflationsdrucks ist die monetäre Lage effektiv sogar deutlich expansiver als während der Hochphase der Krisenmaßnahmen.

 

Dorothea Huttanus


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